Wenn die Angst unser Verhalten lenkt ...
Seit fast 50 Jahren weile ich auf dieser Erde. In dieser Zeit habe ich viele Ängste erfahren. Als Kind, als ich unachtsam durch die Fußgängerzone ging und kurz darauf von meiner Familie getrennt war, ebenso auf dem Schulweg, auf dem Schulhof, wenn ich alleine unterwegs war und von anderen ‑älteren- meist mehreren Kindern eingeschüchtert wurde. Alleine haben sich das jene meistens nicht getraut. Nein, ich wurde nie ernsthaft verprügelt, doch das Konzept, einer anderen Person Angst einzujagen, das lernte ich kennen. In vielen Variationen. Einschüchtern und verängstigen. Auch lächerlich machen und über andere lachen. Damit schüchtert man andere ein und fühlt sich „überlegen“. Man gibt andere Menschen der „Lächerlichkeit“ preis und amüsiert sich auf deren Kosten. Man wertet den Gegenüber ab, um sich selbst aufzuwerten …
Ja, Angst ist uns allen bekannt. Wenn das Herz bis zum Hals schlägt - so wie an jenem Tag, als eine Grundschullehrerin an die Tafel schrieb: "Fahrradfahren MUSS! gelernt werden!", sich dann umdrehte und mit Reibeisenstimme fragte, ob jemand im Raum sei, der NICHT Fahrrad fahren könne. Ich glaube, es ist verständlich, warum ich mich nicht meldete. Jene Frau Pappke trug Nadelstreifenanzüge und rauchte in der Pause selbstverständlich Zigaretten ... Ja, alleine ihr Auftreten schüchterte mich ein - und sie bereitete mir Unbehagen - mein Herz raste, als sie diese Frage stellte. Ich bin der festen Überzeugung, hätte ich mich gemeldet und (im Alter von 7/8 Jahren?) zugegeben, dass ich noch nicht Radfahren konnte, hätte ich ein ungutes Trauma erfahren ...
Gott sei Dank habe ich mich nicht gemeldet. Wer weiß, was diese "emanzipierte" Frau mir damals alles gesagt hätte und meiner verschüchterten kindlichen Seele angetan hätte?
Die Frage „Warum“ Menschen andere einschüchtern, stellte ich mir erst Jahre später. Was bewog „normale“ Kinder, Jugendliche oder Erwachsene dazu, andere einzuschüchtern und zu bedrohen? Ein Blick in die Familie dieser Menschen zeigte meist ähnliche Bilder: Gewalttätigkeiten, Einschüchterung, Bedrohung im Elternhaus. Diese Kinder und Jugendliche waren selbst Opfer jener „Waffe“, die sie selbst verwendeten, um nun andere „gefügig“ zu machen. Um jene -vermeintlich schwächere- zu etwas zu bewegen, was jene eigentlich gar nicht wollten.
Was geschieht mit solchen Kindern und Jugendlichen einmal später im Leben? Wenn sie „vermeintlich“ erwachsen sind? Werden sie ihr Verhalten – ihr gewalttätiges, bedrohliches Verhalten - erkennen und Einsicht haben? Werden sie irgendwann verstehen, dass sie andere Menschen gegen deren Willen bedrängt haben, jene verletzt haben? Werden sie versuchen, das, was sie anderen angetan haben, in Zukunft zu vermeiden und sich vielleicht sogar bei jenen entschuldigen?
Ich sah Jahre später immer wieder solche Menschen, die dann aber -interessanterweise- meist grüßend an mir vorüber gingen. Sehr wenige schauten wütend, hasserfüllt, provokativ. Ich glaube, den meisten tut es später leid. Doch es bleiben immer noch genug der anderen übrig! Jene, die gelernt und verstanden haben, dass sie durch ihr -oftmals unterschwelliges- Verhalten andere Menschen einschüchtern und „zu etwas“ bewegen können. Das sind die aktiven gefährlichen Menschen. Diejenigen, die andere unterwerfen wollen, weil sie selbst unterworfen wurden. Jene, die die eigene Angst verleugnet, verdrängt und die "mächtige Waffe" des Einschüchterns für sich übernommen haben ... Jene akzeptieren nur die noch furchteinflößenderen Personen über sich - jene, die sie als "überlegen" akzeptieren ... Alle anderen sehen sie als unterlegen an - und verhalten sich ihnen gegenüber auch so.
Die anderen sind die passiven. Das sind die, die unterworfen wurden und sich untergeordnet haben. Meist unbewusst. Jene, die die Autorität der Unterdrücker akzeptiert haben, sich angepasst haben und nicht aufbegehrt haben. Auch später nicht. Sie haben nicht das Kindheits-Trauma analysiert und sich aus ihrer Opferrolle herausgearbeitet. Sie bleiben jene Opfer. Sie bleiben untergeordnet vor -einschüchternder- Autorität. Sie werden nicht aus der Reihe tanzen, wenn eine Obrigkeit sich autoritär gibt. Sie wollen nicht auffallen, sie wollen sich nicht lächerlich machen und nicht lächerlich gemacht werden.
Darauf basiert das Angst- und Einschüchterungskonzept der Machthabenden, die sich mit der Angst verbunden haben. Gleich, ob dies Elternteile, Freunde, Vereinsmitglieder, Parteivorsitzende oder Unternehmer sind. Das Konzept funktioniert. In etlichen Berufszweigen und vor allem bei vertriebsorientierte Menschen wird nach diesem Prinzip motiviert und darin bestärkt, wie man "geschickt" manipuliert, "durch die Blumen" einschüchtert und mit Angst Ziele erreicht. In meinen Augen ist das skrupellos und menschenunwürdiges Verhalten und gewiss nicht ehrenhaft.
Doch jenen Menschen, die nach Ansehen, Macht und Geld gieren, ist es ein einträgliches Mittel, um ihre egoistischen Ziele - ohne Rücksicht auf andere Menschen - zu erreichen ...
Es ist erstaunlich, wie viele jener Menschen in Regierungen und Schaltstellen der Macht sitzen. Und obwohl ihr Verhalten ganz und gar nicht mit ihren Worten übereinstimmt, erkennen viele Menschen nicht deren wahres Gesicht. Dabei ist es ganz einfach, denn ein großer Philosoph sagte es vor über 2000 Jahren: "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen ..."
Wer vorgibt, für die Menschen zu sein, sie schützen zu wollen, der lässt nicht zu, dass gerade jene zu schützenden Menschen durch unverhältnismäßige Maßnahmen in ihrer Freiheit, ihrer Existenz bedroht, eingeschüchtert und verängstigt werden ...